(Interview: Heike Schrader, jungewelt.de, 02/02/2015)
Dimitris Zotos ist Mitglied der Initiative Jail Golden Dawn und Anwalt der Nebenklage im Prozess gegen die neofaschistische Partei (griechischsprachige Webseite: jailgoldendawn.com)
Die neofaschistische Partei Chrysi Avgi, in Deutschland als »Goldene Morgendämmerung« bekannt, ist bei den Wahlen am 25. Januar erneut mit 17 Abgeordneten ins griechische Parlament eingezogen. Die meisten von ihnen werden in Kürze wegen Rädelsführerschaft in einer kriminellen Vereinigung vor Gericht stehen. Wer ist da angeklagt?
Es gibt 69 Angeklagte, darunter alle 18 Parlamentarier der Chrysi Avgi aus der letzten Legislaturperiode. Zwei von ihnen sind in der Zwischenzeit allerdings aus der Partei ausgetreten. Die anderen Angeklagten sind Funktionäre der Chrysi Avgi oder Mitglieder ihrer Sturmtruppen, also die, die die Drecksarbeit erledigt haben: die teils tödlichen Angriffe mit Messern, Schlagstöcken etc.
Was wird ihnen vorgeworfen?
Alle Abgeordneten und eine Reihe Mitglieder des politischen Rates der Partei sind der Rädelsführerschaft in einer kriminellen Vereinigung angeklagt, alle anderen der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Einer Reihe von ihnen wird eine konkrete Tatbeteiligung an den vier zur Anklage stehenden Morden und Mordversuchen vorgeworfen: Die Ermordung des griechischen Rappers Pavlos Fyssas, die Mordversuche an den ägyptischen Fischern und den Gewerkschaftern der PAME sowie beim Brandanschlag auf das von pakistanischen Migranten bewohnte Haus in Ierapetra auf Kreta.
Wird den Parlamentariern eine direkte Beteiligung an den Straftaten vorgeworfen?
Nein, sie sind alle der Rädelsführerschaft angeklagt. Manchen von ihnen wird auch illegaler Waffen- oder Drogenbesitz vorgeworfen. Keiner von ihnen muss sich aber wegen der physischen Beteiligung an den zur Anklage stehenden drei Mordversuchen und dem Mord an Fyssas verantworten. Im konkreten Fall geht es nur um diese vier Anschläge. Alle anderen Angriffe der Chrysi Avgi werden, wenn überhaupt, in getrennten Verfahren behandelt.
Die Justiz hat unmittelbar nach der Ermordung von Pavlos Fyssas im September 2013 begonnen zu ermitteln, ein Prozesstermin steht aber immer noch nicht fest. Warum wird so lange gezögert?
Es ist tatsächlich viel Zeit vergangen. Die Ermittlungsrichter haben ihre Arbeit bereits im Oktober 2013 aufgenommen. Und sie haben es in wenigen Monaten geschafft, aus der umfangreichen Aktenlage mit 72 Beschuldigten die Anklageschrift mit ernsten Beschuldigungen fertigzustellen. Dabei haben sie sehr seriöse Arbeit geleistet. Die ursprüngliche Beschuldigung zum Beispiel im Fall der ägyptischen Fischer oder auch der PAME-Gewerkschafter lautete nicht auf Mordversuch, sondern nur auf gefährliche Körperverletzung. Die betrauten Ermittlungsrichter haben dies auf die schwerere Anklage korrigiert. Genau wie im Fall des Brandbombenanschlags auf die Wohnung der Pakistaner in Ierapetra, der ursprünglich auch nicht als Mordversuch gewertet worden war. Die Untersuchungsrichter haben ihre Arbeit Ende Juli 2014 abgeschlossen. Die Staatsanwaltschaft hat dann laut Gesetz drei Monate Zeit, um Anklage zu erheben. Diese drei Monate wurden voll ausgeschöpft. Das entscheidende Richtergremium hatte dann ebenfalls drei Monate Zeit, um zu entscheiden, gegen wen und mit welcher Anklage der Prozess eröffnet werden wird. Diese Frist läuft jetzt aus.
Das hat aber zur Folge, dass es wohl einen Prozess geben wird, bei dem sich alle Angeklagten auf freiem Fuß befinden, denn die maximale Dauer von Untersuchungshaft in Griechenland beträgt 18 Monate. Was bedeutet dies für den Prozess?
Die meisten von ihnen befinden sich bereits, teilweise unter Auflagen, auf freiem Fuß. Insbesondere die als Rädelsführer Angeklagten, also auch die Parlamentarier um Generalsekretär Michaloliakos, werden im März freigelassen werden müssen.
Jede Verzögerung ist generell erst einmal im Interesse des Angeklagten, denn ein Untersuchungshäftling macht einen anderen Eindruck als ein Angeklagter auf freiem Fuß.
Kann dies auch Einfluss auf das Urteil haben? Denn wir sprechen hier nicht nur von freien Angeklagten, sondern angeklagten Parlamentariern.
Ins Parlament hätten sie auch als Inhaftierte einziehen können, das wird vom Gesetz nicht ausgeschlossen. Aber trotzdem ist es natürlich relevant. Ein angeklagter Parlamentarier auf freiem Fuß hat ganz andere Mittel, seine Verteidigung zu organisieren und sich als unschuldig darzustellen, als ein Untersuchungshäftling. Die bestmögliche Verteidigung ist sein gutes Recht. Die Justiz aber wäre verpflichtet, den Prozess unter Beachtung aller Rechte der Angeklagten in angemessen kurzer Zeit durchzuziehen. Denn die Organisation ist nicht eine Gefahr für irgendjemand einzelnen. Sie bedroht ein riesige Gruppen von Menschen: alle Migranten, alle, die gegen die Chrysi Avgi stehen.
In Deutschland ist immer wieder zu erleben, dass in Prozessen gegen Rechte diese als Einzeltäter dargestellt oder die rassistischen Motive der Täter verschleiert werden. Ist dies hier auch zu befürchten?
Diese Furcht ist vorhanden und sie wird durch Erfahrungen in der Vergangenheit gestützt. So wird die Gründung der kriminellen Organisation Chrysi Avgi im Ausgangsbericht der Untersuchungsrichter auf 1987 festgelegt, das Jahr, in dem die Chrysi Avgi begann, öffentlich in Erscheinung zu treten. In der Anklage datiert die Staatsanwaltschaft die Gründung dagegen auf volle 20 Jahre später, auf 2008, ohne dies näher zu erläutern. Dies wäre noch zu verstehen, wenn die Praxis der Chrysi Avgi erst ab 2008 gerichtsbekannt geworden wäre. Aber es gibt rechtsgültige Urteile in Prozessen gegen Funktionäre der Organisation, die lange vor diesem Datum liegen. Das bekannteste ist der berühmte Fall gegen den stellvertretenden Führer der Organisation Periandros. In den Urteilen ist festgehalten, dass die Täter nicht als Einzeltäter, sondern als organisierte Mitglieder der Chrysi Avgi agiert haben.
Auch die Strategie der Führungsriege der Chrysi Avgi ist entsprechend. Danach will niemand eine Verbindung mit den Straftaten gehabt habe. Die seien alle als vereinzelte Taten von Individualtätern verübt worden, die zwar in Verbindung mit der Chrysi Avgi gestanden haben könnten, jedoch keinesfalls auf Anweisung gehandelt hätten. Dabei gibt es z.B. Beweise, dass der Parlamentarier Lagos den Angriff auf die ägyptischen Fischer angekündigt und den Befehl für den Mord an Fyssas gegeben hat.
Erschwerend kommt hinzu, dass dies bis zur Ermordung von Fyssas auch die Einstellung sowohl der Regierung als auch der Justiz war. Bis 2013 wurden alle Fällen, in denen es um Angriffe der Chrysi Avgi ging, mit Ausnahme der drei oben genannten, von der Justiz nicht in Zusammenhang mit der neofaschistischen Organisation gebracht. In vielen Verfahren wurde nicht einmal der rassistische Hintergrund beleuchtet.
Was will die Nebenklage erreichen?
Zuallererst, dass die Stimme aller Opfer gehört wird, damit die Anklage untermauert werden kann. Und damit meinen wir nicht nur die Opfer aus den in der Anklage stehenden Anschlägen. Sondern aus den 98 noch nicht abschließend behandelten weiteren Angriffen der »Goldenen Morgendämmerung«. Die Stimme der antifaschistischen Bewegung muss gehört werden. Sie kann dem Gericht begreiflich machen, was Chryis Avgi für die Gesellschaft, für die Menschen, für die Migranten, die Antifaschisten, für Gewerkschafter bedeutet, wie gefährlich die Chrysi Avgi für sie alle ist. Wenn dieses Bild nicht dem Gericht präsentiert wird, dann könnte es wieder von den Taten einiger Heißsporne ausgehen, die auszogen, um zu töten. Wichtig ist, dass der Druck, den über all diese Jahre so viele Leute im antifaschistischen Kampf aufgebaut haben, in den Gerichtssaal übertragen wird.
In Griechenland gibt es keine gesetzliche Grundlage für ein Parteiverbot. Gesetzt den Fall, dass in dem Prozess die Führungsriege um Michaloliakos als Rädelsführer in einer kriminellen Vereinigung verurteilt wird, kann dies trotzdem eine Art Verbot der Chrysi Avgi zur Folge haben?
Das ist eine sehr interessante und wichtige Frage. Es gibt tatsächlich keine gesetzliche Grundlage für ein Parteiverbot in Griechenland. Bis heute hat es aber auch noch keinen Fall gegeben, in dem die komplette Führungsriege einer Partei wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung verurteilt worden ist. Eine solche Verurteilung würde sicher neue politische und juristische Gegebenheiten schaffen. Das politische System wäre gezwungen, diesen Fall auch gesetzgeberisch zu behandeln. Es kann kein rechtsgültiges Urteil geben, in dem die Führungsriege einer Partei der Rädelsführerschaft eine kriminellen Organisation für schuldig befunden wird und gleichzeitig im Parlament in Amt und Würden sitzt. Das wird sicherlich der Ausgangspunkt für eine Diskussion darüber sein, unter welchen Umständen das Verbot einer Partei gerechtfertigt ist.