(Interview: Markus Bernath, Der Standard, 10/5/2017)
Das Urteil gegen die griechische Faschistenpartei werde am Ende politisch sein, sagt Opferanwalt Thanasis Kampagiannis.
STANDARD: Gab es in Griechenland jemals einen solchen Prozess?
Kampagiannis: Historisch betrachtet ist das ein auch für europäische Maßstäbe sehr einzigartiger Prozess. Es ist das erste Mal seit den Nürnberger Prozessen, dass ein so weit gefasstes Strafverfahren gegen eine Nazi-Organisation geführt wird, die auch als politische Partei arbeitet und gewählte Abgeordnete hat. Es gibt Verfahren wie in München gegen den NSU. Aber dort geht es um ein geschlossenes terroristisches Netzwerk. Zumindest wollen es die deutschen Behörden so präsentieren. Im Fall der “Goldenen Morgenröte” (Chrysi Avgi, Anm.) ist Nürnberg die Analogie. Wir hatten in der griechischen Justizgeschichte wohl Prozesse gegen Personen, die faschistischen, parallelstaatlichen Organisationen angehörten. Das liegt daran, wie Griechenland aus dem Zweiten Weltkrieg herausging – mit einem Bürgerkrieg zwischen der Linken und der antikommunistischen Rechten. Wir hatten in den 1940er-Jahren Prozesse gegen Nazi-Kollaborateure. Doch es gab keine wirklichen Verurteilungen. Diese Leute waren ja wichtig als Werkzeug im Kampf gegen die Linke.
Aufmarsch der Goldenen Morgenröte im Jänner in Athen. Zur Frage, ob die Partei an Gewalttaten beteiligt gewesen und insgesamt eine “kriminelle Organisation” sei, läuft ein Gerichtsverfahren (foto: ap / yorgos karahalis).
STANDARD: War die Ermordung des Friedensaktivisten Lambrakis 1963 nicht eine Wende im Umgang mit den Rechtsextremen?
Kampagiannis: Die Mörder von Grigoris Lambrakis, dem Abgeordneten der Vereinigten Linken, waren Mitglieder einer Organisation von Nazi-Kollaborateuren. Es war ein sehr ähnlicher Fall wie heute bei der Goldenen Morgenröte. Doch diese Organisation damals war mit dem Staat verbunden, sie hatte enge Verbindungen zur Polizei. Am Ende wurden nur die zwei Ausführenden der Mordtat verurteilt, alle anderen wurden freigesprochen. Und die Junta, die dann folgte, ließ auch noch die Mörder frei. Die Junta-Generäle wiederum kamen nach 1974 vor Gericht. Einige von ihnen wurden verurteilt, aber dies war einmal mehr ein Ausdruck der sozialen und politischen Kräfte.
STANDARD: Was meinen Sie damit?
Kampagiannis: Auf das Verhältnis dieser sozialen und politischen Kräfte kommt es in solchen Verhandlungen an. Dies sind Strafverfahren von hoher politischer Bedeutung. Und am Ende entscheidet der Staat über diese Bedeutung. Dasselbe gilt für den Prozess gegen die Goldene Morgenröte. Natürlich ist es kein Prozess über politische Ideen, sondern über verbrecherische Taten, die von einer Organisation begangen wurden: der Mord an dem Sänger Pavlos Fyssas, der Angriff auf die ägyptischen Fischer und auf die Gewerkschafter in Piräus. Das Gericht wird alles Material, alle Beweise dieser Welt haben, dass dies eine kriminelle Organisation ist. Doch der griechische Staat muss entscheiden, ob es in den nächsten Jahren einen politischen Raum für eine solche Organisation geben soll. Wir wären naiv, nähmen wir an, das sei nicht der Fall. Auch wenn wir glauben, die Justiz ist in modernen Demokratien unabhängig und so weiter. Am Ende wird es eine politische Entscheidung sein.
Thanasis Kampagiannis (38) ist ein Athener Anwalt und Bürgerrechtler.
STANDARD: Und die wird wie ausfallen, vermuten Sie?
Kampagiannis: Es geht nicht um Vermutungen. Wenn man etwas vorhersagen will, braucht man einen Plan. Unser Plan ist, diesen Gerichtsprozess zum Interesse der demokratischen Mehrheit zu machen, die in diesem Land existiert. Die Mehrheit des griechischen Volks ist gegen die Nazis, gegen die Faschisten, und sie will, dass diese Leute verurteilt werden. Solange die Mehrheit mobilisiert ist und solange der Staat sieht, dass dies der Fall ist, wird es sehr schwer sein, anders zu entscheiden. Aus diesem Grund bin ich der Überzeugung, dass der Ausgang des Prozesses von seinem öffentlichen Interesse abhängt. Je mehr Menschen wissen, was im Gerichtssaal passiert, um so weniger möglich wird es für den Staat sein, gegen die Aktenlage zu entscheiden. Die Beweise sind eisenhart.
STANDARD: Tsipras’ Koalitionspartner, Verteidigungsminister Panos Kammenos, reiste vor einiger Zeit zu einer Insel in der Ostägäis und nahm auch Abgeordnete der Goldenen Morgenröte aus dem Verteidigungsausschuss mit. Das ist parlamentarischer Usus, aber politisch sah es nicht sehr gut aus, oder?
Kampagiannis: Nein, das war keine normale parlamentarische Praxis. Es war ein Vorschlag, eine Sitzung des Ausschusses auf Kastellorizo abzuhalten, und die Mehrheit im Ausschuss lehnte es ab. Es war also eine politische Entscheidung von Kammenos, und Syriza machte mit bei dieser Schauveranstaltung auf der Insel – zusammen mit der Goldenen Morgenröte. Es war eine empörende Botschaft, eine Botschaft der Relegitimisierung der Faschisten, die der Staat an die Gesellschaft sandte zu einem Zeitpunkt, wo die Goldene Morgenröte von der Justiz als kriminelle Organisation betrachtet wird.
STANDARD: Warum würde Kammenos so etwas tun?
Kampagiannis: Kammenos spielt kleine nationalistische Spielchen. Das ist für sein Publikum. Er muss so etwas tun, er muss die Spannungen mit der Türkei pushen. Und er hat die Wähler der Goldenen Morgenröte im Blick. Kammenos hat kein Problem damit. Das Problem ist Syriza. Für die Mitglieder und Ex-Mitglieder von Syriza war es ein enormer Schock, wie eine Partei der antifaschistischen Linken ihre eigene Geschichte lächerlich macht, indem sie die Goldene Morgenröte auf diese Weise weißwäscht. Es ist ein gefährliches Spiel für Syriza. Man spürt einen gewissen Zynismus dahinter, eine politische Strategie, die lautet: Die Rechte zu zersplittern ist gut. Und die Goldene Morgenröte ist Teil dieser Zersplitterung. Aber das ist gefährlich. Man weiß nicht, wie sich die Dinge entwickeln. (Markus Bernath, 10.5.2017)
WISSEN: Goldene Morgenröte – Stabil trotz Verfahren
Der Aufstieg der griechischen Faschisten ist eng mit der Finanz- und Wirtschaftskrise im Land verbunden: Bei den Kommunalwahlen im ersten Krisenjahr 2010 zieht Parteichef Nikolaos Michaloliakos erstmals in den Athener Stadtrat ein. Bei den Parlamentswahlen 2012 gelingt der Goldenen Morgenröte (Chrysi Avgi) mit sieben Prozent der Sprung ins Parlament. Sie ist seither eine feste Größe in der griechischen Parteienlandschaft. Untersuchungshaft und Prozess gegen die gesamte Führung der Partei haben nichts an ihrem Stimmanteil geändert. Im Verfahren geht es um drei emblematische Gewalttaten sowie um die Frage, ob die Partei eine kriminelle Organisation ist. (mab).