(Report: Antonis Diniakos, vice.com, 29/01/2015)
Es ist Sonntag Abend und wir schreiben den 25. Januar 2015. Vor dem engen Pavillon des Syriza-Linksbündnisses am Klafthmonos-Platz im Herzen von Athen hat sich eine freudig erregte Menschenmenge versammelt. Alle sind gekommen, um hier—und voller Spannung—auf die ersten Hochrechnungen zu warten. Der Optimismus ist fast greifbar und ist mit der Hoffnung auf einen politischen Wandel verknüpft. Plötzlich erhebt sich die Menge in einem ohrenbetäubenden Freudenschrei, der von Revolutionsliedern und Rockhymnen aus den Lautsprechern untermalt wird: Griechenland hat zum ersten Mal in seiner Geschichte eine radikale Linkspartei an die Regierung gewählt. Trotzdem sind hier viele auch etwas betrübt. Denn den Hochrechnungen zufolge ist die neonazistische Partei Goldene Morgenröte drittstärkste Kraft des Landes geworden und kann anscheinend weiterhin auf ihre Stammwählerschaft bauen. Die hat sich auch davon nicht abschrecken lassen, dass fast die Hälfte der Parteiabgeordneten aktuell im Gefängnis sitzt oder mit Anklagen zu rechnen hat.
Am Montag Morgen, als das griechische Innenministerium die Wahlergebnisse bestätigt hat, wurden die Befürchtungen dann Realität. Im Vergleich zu 2012, als die letzten Parlamentswahlen abgehalten wurden, muss Goldene Morgenröte leichte Einbußen hinnehmen: Denn wohingegen vor rund drei Jahren noch 426.025 Griechen für die Partei um Nikos Michaloliakos stimmten, gaben dieses Mal etwa 388.000 Wähler der rechtsextremen Partei ihre Stimme. Die verlor dadurch auch einen ihrer ursprünglich achtzehn Sitze im griechischen Parlament.
George Tsiakalos ist Professor für Erziehungswissenschaft an der Aristoteles-Universität in Thessaloniki und gehört zu den Personen, die offen über die Ideologie hinter Goldene Morgenröte gesprochen haben. Außerdem hat er auch auf die negativen Konsequenzen für die griechische Gesellschaft aufmerksam gemacht. Ich will von ihm wissen, ob ein Erfolg der frisch gewählten Regierungskoalition der Neonazi-Organisation einen Schlag versetzen könnte bzw. ob ein Scheitern des Syriza-Anel-Bündnisses dazu führen könnte, dass Goldene Morgenröte für eine breitere Wählerschaft interessant wird.
Im Zuge der Krise wurde eine ‚binäre Trennlinie’ gezogen. Diese Linie hat dafür gesorgt, dass fast alle ideologischen Unterschiede verschwimmen.
„Lassen Sie uns das negative Szenario durchgehen…”, schlägt er vor. „Im Grunde sind die Bürger die einzigen, die den Misserfolgen einer Regierung mit ihrem Handeln entgegenwirken können. Ich glaube, dass die wahre Gefahr woanders liegt. Im Zuge der Krise wurde eine ‚binäre Trennlinie’ gezogen, die es in dieser Form zuvor noch nicht gegeben hatte. Diese Linie hat dafür gesorgt, dass fast alle ideologischen Unterschiede verschwimmen und an Signifikanz verlieren. Diese Linie trennt die Partien in zwei Lager: Auf der einen Seite stehen die ‚Sparpolitikparteien’ und auf der anderen Seite eben solche Parteien, die sich gegen eine zu rigide Sparpolitik aussprechen. Das hat dazu geführt, dass die Leute während der Krise ihre Nähe zu politischen Parteien und Ideologien weniger von deren Standpunkten zu Themen wie Bildung, Menschenrechten, Einwanderung und Staat-Kirche-Beziehungen abhängig gemacht haben, als vielmehr von deren Position bei der Streitfrage Sparpolitik. Das erklärt auch, warum Syriza zusammen mit der rechtspopulistischen Anel-Partei eine Koalitionsregierung bilden konnte. Sollte sich dieses Phänomen etablieren und die neue Regierung zudem darin scheitern, die Wählererwartungen zu erfüllen—vor allem in Form einer weniger strengen Sparpolitik für schuldengeplagte Länder wie Griechenland—, würde es dazu kommen, dass es nur noch zwei Parteien im griechischen Parlament gibt, die für sich beanspruchen können, eine echte Anti-Sparpolitik zu fahren: die kommunistische Partei sowie Goldene Morgenröte. Letztere hat schon Vorbereitungen dafür getroffen, genau ein solches Szenario für sich auszuschlachten.”
Ich frage ihn, wie es möglich war, dass Goldene Morgenröte—vor dem Hintergrund, dass die wichtigsten Parteifunktionäre im Gefängnis sitzen—nur so wenige Wählerstimmen verloren hat.
„Ich persönlich bin nicht davon ausgegangen, dass sich ihr Wahlergebnis dramatisch verschlechtern würde. Das liegt allerdings nicht an der Beliebtheit oder an den Fähigkeiten der Mitglieder, sondern ist eine direkte Folge des Widerwillens der anderen Parteien, sich klar die Verdrängung von Neofaschismus aus dem politischem Spektrum des Landes auf die Fahne zu schreiben. Der größte Fehler der Parteien, aber auch der Leute, die für die öffentliche Meinungsbildung wichtig sind, liegt darin, dass sie Goldene Morgenröte wie eine rechtspopulistische Organisation behandeln, die sich halt unter Anderem auch ganz zufällig der Nazi-Symbolik bedient und vehement den Holocaust leugnet. Die Wahrheit ist jedoch, dass Goldene Morgenröte eine ganz bewusst neonazistische Vereinigung ist. Ihrer Ideologie nach sind nicht alle Menschen gleich und Gleichheit ist etwas Unnatürliches. Sie glauben fest daran, dass die Gesellschaft auf Rassen beruht, dass Kultur eine biologische Eigenschaft dieser Rassen ist und dass zwischen den Rassen (und damit auch zwischen den Kulturen) eine Hierarchie existiert. Gleichzeitig wird aber auch ,gepredigt’, dass die Kulturen durch Rassenmischung zerstört werden—ihrer Vorstellung nach wird deine Rasse wirklich beschmutzt und fehlgeleitet, wenn du dich mit Menschen anderer Rassen fortpflanzt. Das sind die Grundsätze des politischen Programms von Goldene Morgenröte. Sie sprechen sich offen gegen Immigranten und Minderheiten aus, weil es da ja das Risiko der Rassenmischung gibt. Sie haben etwas gegen Behinderte, weil sie ja eine biologische Belastung und eine Bedrohung für das Durchsetzungsvermögen der Rasse sind. Sie sind gegen die Demokratie, weil die ja darauf basiert, dass alle Menschen gleich sind.”
„1946 wurde bei den Nürnberger Prozessen entschieden, dass eine nationalsozialistische Partei wie die NSDAP wegen ihrer Ideologie und des Parteiprogramms vom Gründungsmoment an als kriminelle Organisation angesehen wird.” In Griechenland hat sich der Prozentsatz der traditionellen nationalistischen und rechten Wähler—die Hüter des Triptychons aus „Vaterland, Religion und Familie”—immer um die 6- bis 7-Prozent-Marke herum bewegt. In den letzten drei Jahren ist dieser Prozentsatz jedoch gestiegen. Dank der Ideologie von Goldene Morgenröte wurde eine Plattform geschaffen, wo man die neofaschistische Weltanschauung offen ausleben kann.
Thanasis Kampagiannis, ein Anwalt der Bewegung „Jail Golden Dawn”, kennt sich mit den Aktivitäten der Partei bestens aus, denn er war während des Prozesses gegen Goldene Morgenröte Teil des Aufklärungsprogramms der antifaschistischen Bewegung. Ich besuchte ihn in seinem Büro in der Athener Innenstadt.
„Viele Jahre lang machte die griechische Justiz keine Anstalten, die Dutzenden Anschuldigungen gegen Mitglieder von Goldene Morgenröte zusammenzufassen. Deshalb habe ich jetzt kein volles Vertrauen in die Behörden. Wir als Bewegung kämpfen dafür, dass Goldene Morgenröte als kriminelle Organisation angesehen wird—und zwar nicht nur im Bezug auf unseren Klienten, den ägyptischen Fischer, der von Parteimitgliedern zusammengeschlagen wurde, sondern als Ganzes.”
Ich frage Thanasis, was er über das Wahlergebnis und das Abschneiden der Neonazi-Partei denkt. „Ich finde, dass Goldene Morgenröte angesichts der Krise, in der wir uns aktuell befinden, nicht wirklich zu den Wahlsiegern zählt. Außerdem gibt es auch ein paar wirklich positive Zeichen. So haben sie beispielsweise in größeren Städten Stimmverluste erlitten. Viele Menschen leben aber in dem Irrglauben, dass sich das Problem von selbst lösen wird, sobald wir nicht länger über diese Partei reden. Das ist aber nicht der Fall. Die Wirtschaftskrise hat der rechtsextremen Partei in die Karten gespielt, es gibt aber auch andere Gründe, die zu ihrem Bestehen und ihrer Bekanntheit beigetragen haben, darunter eine stärkere staatliche Repression sowie eine Institutionalisierung von Rassismus vonseiten der führenden Parteien.”
Zum Abschluss will ich noch wissen, ob ein Scheitern der neuen Regierung zu einem Erstarken der Rechtsextremen führen könnte. „Goldene Morgenröte wurde genau für das heutige politische Zeitalter geschaffen. Die Partei will als Gegengewicht zu einer ,Linksradikalisierung’ der griechischen Gesellschaft fungieren. Doch wenn du den Worten ihres Parteichefs Nikos Michaloliakos aufmerksam zuhörst, wirst du bemerken, dass er von einer Organisation spricht, die ihre ,Soldaten’ auf die Straßen schicken möchte, um der linken ,Bedrohung’ zu begegnen. Es wird außerdem klar, dass sich Goldene Morgenröte für ,den Tag danach’ eine wichtige Rolle ausrechnet. Darum sind Vorsicht und Wachsamkeit, was diese Partei betrifft, von größter Bedeutung.”