Prozess in Athen: Die faschistischen Schläger halten jetzt still

Unterstützer der Partei Goldene Morgenröte bei einer Demonstration im Januar, in Athen. (Bild: Michalis Karagiannis / Reuters).

(Von Markus Bernath, Neue Zürcher Zeitung

Es ist der grösste Gerichtssaal in Athen, eine Halle für 500 Zuhörer, doch das Auditorium ist spärlich besetzt. Wenigstens ein Drittel des Publikums an diesem Tag sind die diensthabenden Polizisten, die Zeugen und Besucher kontrollieren. Das ist pikant: Denn in diesem Prozess gegen die griechische Faschistenpartei Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte), der sich bereits zwei Jahre lang hinzieht, muss sich die Polizei immer wieder Nachsichtigkeit gegenüber oder gar Kollaboration mit den Schwarzhemden vorhalten lassen.

«Die Beweismittel sind schwach!», ruft einer der Anwälte und schwingt seinen Zeigefinger. Zumindest die Bänke der Verteidigung sind voll: Vier Sitzreihen füllen ihre Anwälte. Man könne all die Zeugen der Anklage nicht ernst nehmen, die ihre Aussagen über angebliche Gewalttaten von Parteimitgliedern immer mehr ausschmückten, je öfter sie vernommen würden, behaupten sie. Schuld seien die Medien; sie fütterten die Zeugen mit falschen Geschichten über Chrysi Avgi.

Keiner der Angeklagten ist diesmal zur Sitzung im Gerichtsgebäude in der Athener Innenstadt erschienen. Nach bald 150 Verhandlungstagen geht der Prozess durch Nebenschauplätze seinem letzten Höhepunkt entgegen – der Untersuchung des Vorwurfs, Griechenlands Faschistenpartei sei in Wahrheit eine kriminelle Vereinigung.

Geständiger Mörder in Freiheit

Die Kläger heben die historische Bedeutung des Gerichtsverfahrens hervor. «Dies ist ein einzigartiger Strafprozess», sagt Thanasis Kampagiannis, einer der Anwälte der Zivilkläger. «Es ist das erste Mal seit den Nürnberger Prozessen nach dem Zweiten Weltkrieg, dass ein derart weit gefasstes Verfahren gegen eine Nazi-Organisation geführt wird, die eine politische Partei ist und gewählte Parlamentarier hat.»

Gegen Griechenlands Faschistenpartei wird seit April 2015 verhandelt. 69 Angeklagte stehen vor Gericht, unter ihnen 13 derzeitige und 4 frühere Parlamentsabgeordnete. Die Anschuldigungen reichen von Amtsanmassung und illegalem Waffenbesitz bis zur Ausbildung paramilitärischer Einheiten und Planung und Durchführung von Mordtaten. Die Partei sei nur die Fassade für die kriminellen Aktivitäten einer ideologisch und hierarchisch streng geführten Verbrecherorganisation, behauptet die Anklage.

Die Gerichtsverhandlungen begannen im Hochsicherheitsgefängnis von Korydallos im Süden Athens, wo sie bis heute für jene Beschuldigten stattfinden, die noch in Untersuchungshaft sitzen. Später konnten die vorsitzende Richterin Maria Lepeniotou sowie die Geschädigten die Verlegung der meisten Verhandlungen in den grossen Gerichtssaal bewirken.

Untersucht wurden zunächst drei Gewalttaten, die alle unweit von Piräus begangen wurden und der Goldenen Morgenröte zu Last gelegt werden: der Mord an dem Rap-Sänger Pavlos Fyssas im September 2013, ein Überfall auf kommunistische Gewerkschaftsmitglieder im selben Monat und auf ägyptische Fischer im Juni 2012 – die letzten beiden Fälle gelten als versuchter Totschlag.

Fyssas, ein bekannter Gegner der Faschisten, wurde bei einem nächtlichen Streit vor einem Café niedergestochen. Polizisten einer Motorradstreife schauten dabei zu. Erst der Beamte eines Streifenwagens, der zum Tatort gerufen wurde, griff ein. Er fand den Mörder in einem Auto sitzend. Der Motor lief, das blutige Messer lag am Boden vor einem Wagenrad. Giorgos Roupakias – er gestand später den Mord – hatte sich gerade eine Zigarette angezündet. Zu dem Polizisten sagte er: «Sag niemandem etwas. Ich bin einer von euch. Ich komme von Chrysi Avgi.»

Der geständige Mörder wurde vor einem Jahr aus der Untersuchungshaft entlassen wie vor ihm bereits der Parteichef Nikolaos Michaloliakos, der die Chrysi Avgi in den 1980er Jahren gegründet hatte und seinerseits die «politische Verantwortung» für die Ermordung des Sängers Fyssas übernahm.

Übler Spaziergang

Das Gericht untersucht in diesen Wochen weitere Gewalttaten aus der Zeit nach dem Einzug der Faschisten ins Parlament im Mai 2012, Brandanschläge auf Moscheen und Geschäfte muslimischer Einwanderer sowie Angriffe von Schlägerkommandos. Im grossen Saal des Berufungsgerichts in Athen erzählt ein Vater von der Verprügelung seines Sohnes an einem Sommerabend auf der Strasse durch drei Mitglieder der faschistischen Partei. Der 18-Jährige sollte seinen griechischen Ausweis zeigen, hatte aber keine Papiere bei sich.

Der Vater, ein Anwalt, reichte keine Anzeige gegen die Männer ein, die schwarze T-Shirts mit dem weissen Schriftzug Chrysi Avgi getragen haben sollen. «Ich fürchte bis heute, dass dieser Vorfall Folgen für mein eigenes Leben und das meiner Familie haben kann», sagt er der Richterin. «Ich glaube, dass sie skrupellos und zu allem bereit sind.»

Seit dem Beginn der Ermittlungen gegen die Chrysi Avgi im September 2013 sind die Gewalttaten mit einem Schlag zurückgegangen. Still geworden ist es aber nicht um die Partei, die in Umfragen weiter stabil bei 7 Prozent liegt. Als Verteidigungsminister Panos Kammenos im Dezember zwei Abgeordnete der Goldenen Morgenröte zu einem Besuch auf die ostägäische Insel Kastellorizo mitnahm, einen strategischen Vorposten zur Türkei, war die Empörung gross. Der Rechtspopulist Kammenos tat dies mit Billigung des linken Regierungschefs und Koalitionspartners Alexis Tsipras. Der politische Zynismus sei erkennbar, sagt der Anwalt Kampagiannis: Die Chrysi Avgi solle neue Legitimität erhalten, nur um die politische Rechte zu zersplittern.

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