Endlich aufatmen?

xrysi_avgi_diki_2(Chrissi Wilkens, Athen, Journalistin in Griechenland, fm4.orf.at, 12/05/2015)

Spitzenpolitikern und Mitgliedern der griechischen Neonazipartei Chrysi Avgi wird der Prozess gemacht.

Babuhara, ein Migrant aus Gambia, hält trotzig ein großes Banner unter die brennende Mittagsonne. Er nimmt teil an einer der Demonstrationen in Athener Stadtteil Korydallos. In einem Gerichtssaal im Hochsicherheitsgefängnis dieses Stadtteils findet der Prozess gegen Spitzenpolitiker und Mitglieder der Neonazipartei Chrysi Avgi statt. Der Prozess sollte ursprünglich Ende April beginnen, wurde aber zwei Mal kurz nach Beginn vertagt, weil Angeklagte keinen Rechtsanwalt hatten. Nun soll er am 12. Mai fortgesetzt werden. Es handelt sich um einen historischen Prozess, einmalig in der Geschichte Griechenlands. Zu den insgesamt 68 Angeklagten gehören Parteichef Nikolaos Michaloliakos sowie mehrere ehemalige und heutige Abgeordnete und Funktionäre.

Antifaschistische Demonstration vor dem Gefängnis im Stadtteil Korydallos

Antifaschistische Demonstration vor dem Gefängnis im Athener Stadtteil Korydallos, APA/EPA/ORESTIS PANAGIOTOU.

Die Hauptanklage lautet auf Bildung einer kriminellen Vereinigung. Zahlreichen Angeklagten werden außerdem Körperverletzung und illegaler Waffenbesitz vorgeworfen. Der Mord an dem Aktivisten und antifaschistischen Rapper Pavlos Fyssas im September 2013 durch einen Sympathisanten von Chrysi Avgi führte zu monatelagen Ermittlungen. Seitdem gegen die Neonazis ermittelt wird und mehrere von ihren hinter Gittern sitzen, kann Babuhara wieder aufatmen und ohne Angst Leben. “Vorher hatte ich Angst. Ich konnte nicht mehr rausgehen, als sie angefangen haben, Menschen zu töten. Seitdem sie im Gefängnis sitzen, habe ich keine Angst mehr. Viele Migranten fühlen wie ich”, sagt er.

Dutzende Mitglieder von antifaschistischen Bewegungen demonstrieren mit Babuhara. Sie halten Banner mit einen Bild von Pavlos Fyssas und dem Satz “Pavlos lebt!” Leonardo, ein 23-jähriger Student, findet diesen Gerichtprozess wichtig. Viel wichtiger sei aber, dass der Neonazismus im Bewusstsein der Menschen verurteilt werde, betont er. “An den Arbeitsplätzen, in den Schulen, in den Universitäten! Ein Gerichtsprozess kann diese Neonazis verurteilen, aber im Bewusstsein der Menschen kann Neonazismus immer noch präsent sein. Wir sollten nicht vergessen, dass auch Hitler im Gefängnis gesessen hat und danach alles gemacht hat, was er halt gemacht hat”, so Leonardo. Laut dem Netzwerk für die Aufzeichnungen von Vorfällen rassistischer Gewalt bilden Angriffe gegen Flüchtlinge und Migranten immer noch den Großteil der Berichte. Das Netzwerk stellte außerdem fest, dass sich die griechische Gesellschaft an Gewalt gegen Einzelpersonen, die auf die eine oder andere Art als “anders” wahrgenommen werden, zunehmend gewöhnt.

An der Demonstration vor dem Hochsicherheitsgefängnis von Korydallos nehmen auch lokale Gruppen teil, die verlangen, dass der Gerichtsprozess an einem anderen Ort abgehalten werde, da sich in unmittelbarer Nähe Schulen befinden. Anwälte fordern einen größeren Raum für den Prozess. Der Justizminister Nikos Paraskevopoulos hat am Montag bekannt gemacht, dass bis kommenden September ein größerer Saal gebaut wird, damit dort der Prozess weitergeführt werden kann. Bis dahin soll eine Übergangslösung gefunden werden.

Das Interesse ausländischer Medien ist sehr groß. Groß ist auch die Anzahl der Zeugen und der Rechtsanwälte der über 100 Angeklagten. An einem anderen Ort vor dem Gefängnis haben sich Anhänger von Chrysi Avgi versammelt. Der Zutritt ist nur den wenigen akkreditierten Journalisten erlaubt und wird von Polizeikräften bewacht. Die Neonazis bezeichnen den Prozess als politische Verfolgung. Rentner Vassilis, Bewohner des Stadtteils, sitzt an einer Bushaltestelle und beobachtet genervt die Demonstrationen. Auch er will, dass der Prozess anderswo stattfindet. Was die Angeklagten angeht, wünscht er sich Gerechtigkeit. “Falls sie diese Verbrechen begangen haben, die ihnen vorgeworfen werden, sollen sie ins Gefängnis gesteckt werden und nie wieder rauskommen”, sagt er.

Chrysi Avgi sitzt seit drei Jahren in den Parlament und hat es geschafft, drittstärkste politische Kraft zu sein. Seit die Führung der Neonazis vor Gericht gestellt wurde, hat ihre Dynamik in der Wählerschaft abgenommen, beobachtet Vassiliki Georgiadou, Professorin für Politikwissenschaften in der Pantion Universität in Athen. Bei den Parlamentswahlen im Januar konnten sie weniger Wähler gewinnen (6,3 Prozent) als 2012, als sie 6,9 Prozent erreichten. Die Professorin glaubt, dass viele, die für die Neonazis gestimmt haben, von den Fakten schockiert sind, die die Ermittlungen zu Tage gebracht haben. “Es wurde theoretisch über Neonazismus gesprochen. Jetzt kann man aber Bilder sehen: Hochrangige Mitglieder, die Kinder zu den Grundsätzen und der Rhetorik des Nationalsozialismus erziehen. Mitglieder, die Sammlungen von Naziobjekten haben, die Naziuniformen getragen haben! Aber auch Texte und Parteidokumente wurden veröffentlich. All das hat gezeigt, dass es sich nicht um eine Verleumdung von Seiten linker Antifaschistischen handelte, wie Chrysi Avgi behauptete. Die Realität ist, dass wir es mit einer Neonaziorganisation zu tun haben”, so Georgiadou.

Das Gericht soll herausfinden, ob eine strukturierte kriminelle Vereinigung innerhalb von Chrysi Avgi vorhanden ist. Thanasis Kampagiannis, der Anwalt, der bei diesem Prozess freiwillig ägyptische Fischer vertritt, die im Juni 2012 in ihrer Wohnung in Stadtteil Perama attackiert worden sind, betont, dass dieser Prozess besonders wichtig ist, weil er die Bedrohung des Rechtsextremismus für die demokratischen Rechte und die Sicherheit der BürgerInnen in ganz Europa aufzeigt: “Chrysi Avgi ist vielleicht das extremste Beispiel einer nazistischen kriminellen Vereinigung. Deshalb glauben wir auch, dass sie die rechtsextremen Parteien in Europa, die die gleiche Agenda haben, stärken. Falls die Angeklagten freikommen, stellen sie eine Gefahr für die Freiheit und Rechte aller dar”, so Kampagiannis.

Weiterlesen: jailgoldendawn.com

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